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Das Stück

6. Szene: Westpaket


Personen:

Oma
Lutz
Marta
Rita
Renate
Herr Hempel
Sprecher


Die Szene spielt in Omas Wohnstube. Lutz spielt mit leeren Paketen, Marta telefoniert.

Marta:

Ja, Traut hier, Marta Traut. Mein Paket liegt ein Schreiben Ihrer Dienststelle bei, welches über den ersatzlosen Einzug von Teilen des Paketinhaltes Auskunft gibt. (zur Oma) Ich werde verbunden.

Pause

Guten Tag, genau! Marta Traut. Ich erbitte mir Auskunft über die Dinge, die meinem Paket entzogen wurden. (zur Oma) Welche Lieferungsnummer soll ich angeben?

Oma:

Kleinen Moment mal. (Sie blättert in einer Mappe).

Marta (in die Sprechmuschel):

Einen Augenblick bitte.

Oma:

Hier, Nr. B 404

Marta:

Lieferungsnummer ist B 404. (zur Oma) Die Unterlagen werden rausgesucht.

Pause

Vielen Dank für Ihre Auskunft, auf Wiederhören!

Oma:

Und, was solls gewesen sein?

Marta (lacht):

Es waren einzig eine Packung Rennie und ein Schnittmuster für eine Hose.

Oma: (stimmt ein).

Lutz (mit einem Paket in der Hand):

Guck mal, Oma: Ein Paket für Herr Hempel.

Oma (erstaunt):

Der hat ja noch nie eins bekommen?! Lauf schnell los, Lutz und sag ihm Bescheid!

Lutz nimmt die Beine unter den Arm und läuft los.

Rita, die Tochter der Oma und Mutter von Lutz, tritt ein.

Oma:

Gut, dass du kommst, Rita! Wie immer ist zur Jahresendzeit furchtbar viel zu tun und ich muss sofort noch einmal durchs Dorf fahren und die restlichen Pakete ausliefern.

Rita:

Fahr ruhig los, ich mach das schon. Ich habe mit Marta ohnehin noch etwas zu besprechen.

Die Oma mit einem großem Postsack ab.

Rita:

Hör mal Marta, mein Großer will unbedingt eine Jeans, ihr habt doch gerade für euren Exquisit-Laden in der Stadt eine neue Lieferung bekommen, kannst du da nicht irgend etwas machen?

Marta:

Ich denke schon, am besten kommst du morgen Vormittag vorbei, gegen neun Uhr, da sitzen die anderen vom Kollektiv beim Frühstück.

Rita:

Alles klar. Du, wir kriegen in diesem Jahr noch extra Räucheraal (Herr Hempel und Lutz treten ein, woraufhin Rita Marta beiseite nimmt und leiser weiterspricht) zum Fest, brauchst du welchen? Dann würde ich dir Bescheid sagen wenn die Lieferung kommt.

Marta:

Ja, na sicher.

Rita:

Vielen Dank du, der Knut wird sich freuen.

Marta verlässt den Raum.

Lutz (gibt Herrn Hempel sein Paket):

Herr Hempel, von wem kommt das große Paket?

Hempel:

(öffnet das Paket) Aha...es ist von Tante Liselotte.

Lutz:

Wer ist das? Die habe ich noch nie gesehen.

Hempel:

Das ist auch kein Wunder. Die kommt doch aus dem Westen. Sie hat mir schon mal ein Paket geschickt.

Rita:

Sie haben aber eine Liebenswerte Tante!

Hempel:

Von wegen! Sie ist die Arroganz in Person! Das letzte Paket enthielt fast ausschließlich Altkleider und Textilien, die auch bei uns nicht modern waren. Ganz obenauf lag eine Strickjacke die ganz von Motten zerfressen war.

Rita:

Furchtbar!

Hempel:

Die Tante von meiner Frau, auch aus dem Westen, war gerade zu Besuch. Als sie den Inhalt sah, war sie total entrüstet. Nach ihrer Rückreise rief sie ohne unser Wissen bei meiner Tante an, sagte ihr ihre Meinung und fragte sie, ob sie ihren Abfall nicht anders entsorgen könne, denn so etwas hätten wir im anderen deutschen Staat nun auch nicht nötig.

Rita:

Das nenn ich mutig!

Hempel:

Prompt kam von meiner Tante ein Brief, in dem es hieß, dass wir undankbar wären und nie wieder mit einem Paket rechnen könnten.

Rita:

Unmöglich!

Hempel:

Dann haben wir ihnen erklärt, dass wir auf solche Pakete gerne verzichten können.

Rita:

Das können wir alle! Einige Westdeutsche sind doch so unglaublich arrogant! Und sie nutzen ihre materielle Überlegenheit aus. Einige erkaufen sich mit zwei Pfund Kaffee einen 14-tägigen Aufenthalt.

Hempel:

Auf solche Verwandten kann ich verzichten!

Lutz:

Herr Hempel, kannst du nicht mal nachgucken, was in dem Paket ist?

Hempel:

Natürlich. Aber nur weil du es willst. Meine Vorfreude auf den Inhalt hält sich in Grenzen.

Her Hempel holt einige Sachen heraus, jeweils die, die er gerade aufzählt.

Aha... Nivea-Creme, Rama, Öl, ein Paket Reis, eins mit Gries. Und hier ein Paket mit Kakao. Und drei Tafeln Schokolade, Wurst, Kaffee, Zigaretten. Datteln und Feigen. Und Mandarinen, Zitronen... Und noch allerhand anderer Kleinkram. Lutz, weil du so brav warst, bekommst du eine Tafel Schokolade.

Rita:

Meinen Sie nicht, dass das etwas zu viel ist?

Hempel:

Ach, das ist ein guter Junge. Nichtsdestotrotz kann ich froh sein, dieses Paket bekommen zu haben. Auch wenn mich die Art meiner Tante stört - viele dieser Lebensmittel bekommt man hier nur gegen West-Geld in den Delikat-Läden. Aber glücklich macht mich das nicht. Meine Tante hat doch das Bild von der großen, freien, reichen, demokratischen und mächtigen BRD, wogegen die DDR klein, begrenzt, minderwertig und ökonomisch nicht überlebensfähig erscheint. Die denkt doch, dass wir hier hungern.

Herr Hempel klemmt sich das Paket unter den Arm und geht.

Lutz:

Schade, dass die Säcke viel zu groß zum Sackhüpfen sind.

Rita:

Dafür sind sie die besten, um die Kartoffeln reinzutun, die auf den LPG-Feldern liegen geblieben sind und die wir im Winter unseren Schweinen geben.

Renate Kraul tritt ein.

Renate:

Einen schönen guten Tag, Frau Aviszus!

Rita:

Guten Tag.

Renate:

Hallo Lutz!

Lutz:

Hallo Frau Kraul!

Renate:

Ist ein Paket für mich da?

Rita:

Einen Moment... ja, und geöffnet ist es auch schon. Da war wohl wieder jemand neugierig.

Renate:

Diese verdammten Paket-Kontrolleure! (Sie nimmt das Paket). Ah... den Gruß haben sie aber drin gelassen. (Sie liest:) Liebe Unterwegsleser, ich wünsche Ihnen einen schönen und unterhaltsamen Arbeitstag. Ich hoffe, Sie schaffen es bei dieser aufregenden Arbeit einen kühlen Kopf zu bewahren. Auf Wiedersehen, Ihr Karl!

Beide lachen.

Renate:

Ich würde gerne die Gesichter der Kontrolleure sehen, wenn sie den Gruß lesen.

Sie lachen noch mehr; Lutz lacht unbeholfen mit, weil ihm jeglicher Plan abhanden gekommen ist.

Rita:

Selber Schuld, wenn sie einer so eintönigen Arbeit nachgehen!

Renate:

Aber jetzt mal ernst! Was in dem Paket drin ist... das kann ich mir schon denken. Das schicken mir meine Großeltern jedes Jahr. Die mögen auch unseren Dresdner Stollen. Wenn Sie mir ein leeres Paket geben, packe ich den Inhalt gleich hinein. Dann schicke ich es nach Dresden.

Rita gibt Renate ein Paket, diese füllt den Inhalt langsam, während folgender Einsätze um.

Rita:

Ja ja. In Dresden wird immer noch der beste Stollen gebacken. Ihre Großeltern können sich schon auf den Zeitpunkt freuen, wenn Sie ihnen den Stollen zurückschicken.

Renate:

Wie jedes Jahr. Bald wird auch wieder das zweite Paket für uns eintreffen. Mit Jahresendzeitgeschenken.

Beide schmunzeln.

Rita:

Sind Sie eigentlich schon umgezogen? Sie wollten doch in eine größere Wohnung ziehen!

Renate:

Noch nicht. Es dauert aber nicht mehr lange.

Rita:

Wie hoch ist die Miete?

Renate:

95 Mark warm.

Rita:

Das dürfte doch zu machen sein.

Renate:

Durchaus. Mein Mann und ich verdienen zusammen 1200 Mark. Das ist kein Problem. Dafür müssen wir in der nächsten Zeit sparen.

Rita:

Das müssen wir wohl auch bald. Wir haben uns vorgenommen, einen Trabi zu kaufen.

Der Inhalt ist inzwischen von dem einen Paket ins andere umgepackt worden. Rita gibt Renate eine Briefmarke. Renate klebt diese auf das neue Paket und schreibt Anschrift und Absender darauf.

Ich habe ja zuerst mit einem Wartburg geliebäugelt. Aber das ist zu unvernünftig, sagt mein Mann. Bei 15.000 Mark muss man sechs Jahre warten, bis man ihn abholen kann. Der Trabi hat nur eine Lieferzeit von zwei Jahren.

Renate:

Und wie teuer ist er?

Rita:

8.000 Mark.

Renate:

Immer noch sehr teuer!

Rita:

Das lässt sich nicht ändern.

Das Paket ist fertig.

Renate:

So, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie das Paket losschicken würden.

Rita:

Natürlich. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn es zurückgekommen ist.

Renate:

Vielen Dank, auf Wiedersehen.

Rita:

Auf Wiedersehen.

Renate geht ab. Ein Sprecher tritt auf. Das Licht geht weg von Rita zu ihm hin.

Sprecher:

Onkel Paul schreibt vom Urlaub aus Varna vom schwarzen Meer. Als Westler ist man hier Kaiser. Die Urlauber aus Polen und Tschechien und so weiter haben einen unverschämten Respekt vor der D-Mark. Ich wohne in einem wunderfeinem Hotel und habe morgens einen Blick auf den Campingplatz am Strand, wo die aus der Zone zelten. Ich brauche bloß mal ein Fünfzigpfennigstück aus dem Fenster zu werfen in den Sand, hei, ist das ein Balgerei. Quasi hab ich drei Diener, einer aus Chemnitz trägt mir das Handtuch zum Meer, einer aus Parchim trocknet mir ab und gestern hat mir sogar ein Funktionär aus Frankfurt an der Oder eine Strandburg geschippt. Die hab ich aber gleich wieder eingerissen, denn das war so realistische Stuckatur. Der hat so gebaut wie, na wie heißt denn noch der Nachfolger von Stalin? Frankfurter! Richtig, wie in der Frankfurter Allee hat der da gebaut. Auf jeden Fall nie wieder in den Harz. Hier putzen sie Schuhe, schleppen Essen und lachen dich an. Ich weiß, die wollen bloß unser Geld, aber trotzdem, es ist beinah so schön wie damals, 1940 in Paris, nur eben etwas slawischer. Herrlich, herrlich. So stell ich mir die Wiedervereinigung vor. Das ganze an der Ostsee, mit deutschem Grüß Gott euer Onkel Paul!

Der Sprecher geht ab.