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9. Szene: Gastarbeiter
Personen:
Sprecherin
Griechische Gastarbeiterin
Spanischer Gastarbeiter
Italienischer Gastarbeiter
Zusätzliche Gastarbeiter
Eine Sprecherin betritt die Bühne.
Während sie ersten Text spricht kommen sechs männliche und sechs weibliche
Gastarbeiter mit Matratzen und wenigen Habseligkeiten unten vor der Bühne
auf und lassen sich nieder. (Männer und Frauen sind getrennt.)
Sprecherin:
Millionen ausländische Arbeiter leben gegenwärtig in der Bundesrepublik.
390.000 Italiener, 194.000 Griechen, 178.000 Spanier, 160.000 Türken,
60.000 Jugoslawen, 21.000 Portugiesen. Über ein Drittel von ihnen arbeitet
in der Metallindustrie, über 300.000 sind im Verarbeitenden Gewerbe beschäftigt,
über 200.000 im Baugewerbe. 330.000 von den 1,3 Millionen sind Frauen.
5,4 Prozent aller Arbeitnehmer in der Bundesrepublik sind Ausländer.
Ulrike Marie Meinhof,
Deutschland, Deutschland unter anderem
Griechische Gastarbeiterin: (im Wortlaut ihrer Muttersprache)
Ich bin fortgefahren, um eine landwirtschaftliche Schuld bezahlen zu können:
1500 DM, weil der Frost die Ernte kaputt gemacht hatte.
Ich habe dazu noch 1200 DM Schulden für die Reise gemacht.
Ich bin für ein bis zwei Jahre weggefahren.
Spanischer Gastarbeiter: (spricht folgenden Text ebenfalls mit der Zunge seines Vaterlandes)
Ich bin weggefahren mit dem Ziel, lange zu bleiben und Künstler zu werden.
Dabei musste ich als Arbeiter anfangen. Aber ich muss allmählich glauben,
dass das alles nur Illusionen waren, die aus die Leichtfertigkeit der Jugend
zurückzuführen sind.
Geografie, Gastarbeiter
Sprecherin:
Ich war die sechs Treppen hochgestiegen schmal, aus Stein, voller Kippen,
Abfälle, Papier, Kehricht. Seit Jahren weder gestrichen noch waren die Fenster
geputzt. Oben ein langer Flur, rechts und links Zimmer, dann eine Wand,
die die Frauenseite von der Männerseite trennt. In der Wand eine verschlossene
Tür. Würde sie illegal geöffnet, dann ginge auf dem Werksgelände eine Sirene los,
wären Peterwagen zur Stelle, eher als die Männer bei ihren Frauen.
Weil aber ein Teil der 150 Männer mit einem Teil der 30 Frauen auf der anderen
Seite verheiratet ist, hat man in die Wand eine Luke gebaut, hochdeutsch:
Anrichte. »Man muss ja Verständnis für die Leute haben.
Man kann ja nicht so sein.«
Ulrike Marie Meinhof,
Deutschland, Deutschland unter anderem
Italienischer Gastarbeiter (Muttersprache wird verwendet):
Ich arbeite schon sechs Jahre in Wuppertal. Der Chef ist gut.
Es sind 35 Landsleute dort. Cosenza ist eine sehr schöne Stadt,
aber es fehlen die Fabriken. Ich habe mich daran gewöhnt,
im Jahr 5000 km mit der Bahn zu fahren. Die Hälfte zahlt ja doch der Chef.
Sprecherin:
Für die Putzerei und die Gießerei wären seit Jahr und Tag deutsche
Arbeitskräfte nicht mehr zu haben gewesen, meinte der Betriebsführer,
denn die Arbeit ist hart, dreckig und heiß. So ist diese Abteilung zu einer
Domäne der Ausländer geworden, in der kaum noch ein deutscher Laut zu hören ist.
Die Werksleitung ist zufrieden. Die Ausländer hätten sich als zuverlässig
erwiesen, an ihrer Arbeitsleistung ist nichts auszusetzen.
Geografie, Gastarbeiter
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